Hexen im Kopp - Gitarre auf der Haut
11.05.2015
Zum Hexentanzplatz in Thale geht es, traditioneller Weise, mit der Seilbahn in die Höhe. Das war die erste Idee, die auch
gleich beim ersten Mal keinen Bestand hatte. Später erhält sie vielleicht noch eine zweite Chance. Zur Walpurgisnacht wird
der Ort verriegelt und verrammelt, ließ man mich wissen. An anderen Tagen nutzen Einheimische vermutlich die
öffentlichen Verkehrsmittel oder sie fahren dann mit dem Auto, wenn oben nicht viel los sein kann. Heute ist so ein
stinknormaler Montag, ich bin ein Neu-Harzer und die Sicht verdammt gut. Ich höre die Hexen rufen und wie sie mich
locken. Mein Kopf ist voller Stimmen und Verlockungen und so bleibt nichts weiter, als die „Schüttel“ in Gang zu setzen, die
Serpentinen zu meistern und den Tanzplatz der Hexen zu besuchen. Christian Haase singt was von „Benzin im Kopp“, ich
habe heute Hexen drin.
Hoch über der Bode befindet sich der Hexentanzplatz und gegenüber die Roßtrappe. Dazwischen, nur etliche Höhenmeter
tiefer, schlängelt sich die Bode durch das enge Tal und wenn es still ist hier oben, so wie heute, dann hört man das Wasser
rauschen. Dies ist auch der Platz, wo die Hexen wohnen und zwar in einem Eigenheim. Wenn man davor steht, kann man
sofort den besonderen Baustill erkennen. Die Hütte steht nämlich Kopf und drinnen ist es genau so. Wenn man viel Zeit
mitbringt, dann dürfen sich die Besucher die Küche, das Wohn- und Schlafzimmer sowie die Besenkammer ansehen. Nur
darf in die Besenkammer keiner mehr herein, seitdem einem jungen Becker dort vor Jahren Böses angetan wurde. Heute
jedoch, in unseren turbulenten Zeiten, bekommt man nur noch selten eine alte Hexe zu Gesicht. Noch viel weniger eine
von den hübschen Exemplaren.
Wo sich einst die Hexen zum wilden Tanz auf dem Felsplateau, hoch über dem Tal, versammelten, da stehen heute ein
Restaurant, viele Buden und noch ein Restaurant und weitere Buden. Viele Hexen haben die Besucher als Kunden entdeckt
und verkaufen ihnen alles, was sie nicht brauchen, aber hier oben bekommen können. Vorn an der steil abfallenden
Felswand, gegenüber der Roßtrappe, laden ein paar rustikale Bänke und Tische zu einer Rast ein. Dort kann man sitzen,
die atemberaubenden Blicke in die Landschaft genießen und sich außerdem den Kaffee oder ein Eis selbst holen. Allerdings
muss man auch auf den eigenen Hund an der Leine selbst aufpassen, denn viel hätte nicht gefehlt und die kleine Lily wäre
beinahe zwei alten Hexen an ihre Besen gegangen. Ob die Haftpflicht dafür zuständig ist, muss ich demnächst klären. Man
weiß ja nie.
Ich habe die kleine Hundelady auf meine Arme genommen und versucht, in dieser Stellung den Kaffee weiter zu trinken,
als zwei junge, gut aussehende Ladies mich fragen, ob sie am Tisch Platz nehmen dürften. Völlig überrascht sage ich JA
und wundere mich, warum die Lily ganz ruhig in meinen beiden Armen liegen bleibt. Hunde haben bekanntlich den
besonderen Sinn, sagt man, und von Lily weiß ich, dass es stimmt, was man sagt. Irgendwie fallen beide aus der Masse
der Besucher positiv heraus, so freundlich und charmant, wie sie gefragt haben. Beide stellen ihr Tablett auf den Tisch und
dann sehe ich, was anders ist. Am Unterarm der einen Schönheit neben mir kann ich eine tätowierte Gitarre auf der Haut
erkennen. Kein Gothic- und kein Heavy-Metal-Signum, einfach nur eine Gitarre und ich weiß, diese hübsche Lady ist eine
ganz besondere Hexe, eine, die man nur selten trifft. Wir haben uns prima unterhalten. DANKE dafür, für die Offenheit,
Schönheit aus Hannover, und wo Deine Hexen-Seite bei Facebook zu finden ist, weiß ich inzwischen auch.
Die Zahl der Besucher an diesem Montagnachmittag ist überschaubar. Kein Drängeln, kein Schubsen und kein
Stimmengewirr, das mich aus der Ruhe bringen könnte. Übermütig, wie man(n) in solchen Momenten sein kann, klettere
ich einige Meter über Steine und Kanten nach unten, um von einer Art unterem Hexenausguck das Tal zu bestaunen. Da
liegt mir die ganze Pracht des tiefen Tals zu Füßen. Das Plateau befindet sich 450 Meter über dem Meeresspiegel, wie tief
es hinunter in das Tal der Bode geht, kann ich nur ahnen. Auch die direkte Entfernung hinüber zum Fels der Roßtrappe ist
schwer zu schätzen und bei diesem herrlichen Wetter kann man sogar das Massiv des Brocken hinter den Bergen gut
erkennen. An den steilen Hängen ragen zerklüftete Felsgiganten zum Himmel, schroffe Einschnitte zerteilen die Abgründe
und dazwischen lauter Tupfer aus frischem Grün. Es ist schlicht ein malerischer Anblick, den ich von hier oben genießen
kann. Etwas für Leute, die mit Pinsel und Farbe umzugehen verstehen. Ganz unten, wo die reißende Bode friedlich dahin
plätschert, kann ich erkennen, wie einige Menschen in einem Ausflugslokal den Anblick von unten bestaunen.
Es gibt mehrere Stellen, von denen sich die Aussicht lohnt. Eine ist die obere Station der Seilbahn, die mit ihren Gondeln
Besucher aus dem Tal auf das Plateau bringt. Wir beschließen, uns auf die Socken zu machen. Es sind nur wenige hundert
Meter zu laufen, aber bereits nach den ersten Schritten zum Wald hin, entdecke ich den nächsten Hinweis in Gestalt eines
Hexen-Shirts und darauf kann ich lesen: Hexen dürfen das. Bleibt die Frage, was dürfen Hexen?
Der Weg unter dem Blätterdach hoher Laubbäume führt über Wurzeln und Steine ein paar Meter nach unten. Immer
wieder kommen uns Wanderer entgegen, denn man kann den Hexentanzplatz auch zu Fuß erreichen (oder mit einem
Besen, denn „Hexen dürfen das“). Am Randes des Weges eine Stelle mit blühendem Waldmeister. Auf halbem Wege
kommt mir eine Jugendgruppe von unten entgegen. Eine der Erzieherinnen versucht, ein Erinnerungsfoto zu machen. Ich
zücke ebenfalls die Knipse und fotografiere das Geschehen. Erst beim Weitergehen bemerke ich, dass ich gerade eine
Gruppe junger „Hexen in Ausbildung“ bei einer ihrer Exkursionen beobachtet habe. Schon vor ein paar Tagen, am
Walpurgisabend, hatte ich eine ähnliche Gelegenheit, bei „Hexen in Ausbildung“ zu hospitieren. Nun treffe ich eine solche
Gruppe am Hexentanzplatz, während einer ihrer Tagestouren, wieder.
Von der Seilbahnstation hat man ebenfalls einen wundervollen, aber anderen Blick auf die Umgebung, in das Tal hinein und
auf den Ort Thale sowie die Weite der Ebene, aus der gelbe Rapsfelder heraus blinken. Wie eine riesige Modellplatte liegt
das Harzvorland da unten und beinahe jedes noch so kleine Detail ist gut zu erkennen. Selbst die beiden Türme des
Halberstädter Doms ragen über die Hügel von Spiegelsberge und den Bergrücken von Langenstein hinaus. Was für ein
faszinierend schöner Ausblick von einem sagenumwobenen Platz aus! Kein Wunder, dass sich um diese Felsabhänge, diese
Berge und dicht gewachsene Wälder viele Sagen und Mythen ranken.
Da sitze ich auf einer grob geschnitzten Bank mit einer Holzfigur, einer der historischen Kiepenfrauen nachempfunden, zu
meiner Seite und staune. Mir zu Füßen sitzt Lily, die Kiepenfrau wird von einem Kater bewacht. Ich habe Hexen im Kopp
und der Wind rasselt mit den jungen Blättern eine alte Weise aus meinen Jugendjahren dazu: „Cant’ you see the witch by
my side“ („The Witch“, Rattles, 1970 – „Kannst du nicht die Hexe an meiner Seite sehen?“). Wer hätte damals gedacht,
dass diese Zeilen jemals Realität werden könnten. Irgendwie fügt sich da gerade eine Menge zusammen. Meiner kleinen
Lily jedenfalls scheint die ganze Szenerie nicht geheuer zu sein. Sie zerrt an der Leine, stemmt ihre kleinen Pfoten gegen
die Steine, als wolle sie mir sagen: „Nüscht wie weg hier!“ Dennoch muss auch sie noch schnell einen Blick nach unten
über die Kante riskieren. Kleine Hunde sind nämlich auch sehr neugierig.
Jeder Ausflug geht auch einmal zu Ende. Meine müden Füße quälen sich diesmal mühsam nach oben, mehr als ich ahnen
konnte. Zurück auf dem Hexentanzplatz empfangen mich Teufel, Homunkulus und Hexe einer Figurengruppe, die einem
Kreis großer Steine das besondere Flair verleihen und erst seit 1996 hier oben platziert sind. Als Kind war ich mit meinen
Eltern schon einmal hier. Vieles hat sich seit jener Zeit verändert, doch das Plateau aus Stein, das tief eingeschnittene Tal
und der Fluss haben sich kaum verändert. Die Hexen tanzen immer noch und machen sich über das kommerzielle Gebaren
der Nachwende-Menschen lustig. Als gäbe es nichts Wichtigeres als Shoppen zu jeder Zeit und an jedem Ort. Dabei ist die
Natur ist das einzig Wichtige und Schöne hier und deren Eindrücke werden immer bleiben – im Kopp und ein wenig auch in
die Haut gepiekt.
Ich bin der RockRentner im Harz
und berichte hier von meinen Wanderungen, Begegnungen und Erlebnissen (nicht nur) im Harz.